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FÜR PAPA (1933–2006)

 

Jetzt würd ich manchmal gerne mit dir reden
Und fragen, was ich dich nicht mehr gefragt
Verschlagne Tage spinnen ihre Fäden
Was nicht gesagt war, war doch nur vertagt

Es heißt, mehr als die Hälfte deines Lebens
Verbrachtest du in einem Unrechtsstaat
Und alles, was du tatest, war vergebens
Und taugt nur noch für eine Moritat
Wie unbelehrbar schreib ich meine Lieder
Von denen keins in diese Zeiten paßt
Für mich, für dich im Grunde, immer wieder
Nur schade, daß du nichts mehr davon hast

Zu spät, zu früh, so quält sich die Geschichte
Durch jedes Jahr mit Juni und August
Und jeder Frühling geht dabei zunichte
In Prag, in Kairo. Hast du das gewußt
Ich hab dich lebenslang nicht klagen hören
Hast du dein Böhmen irgendwann vermißt
Die Orte deiner Kinderzeit in Mähren
Du warst Soldat, wie schnell sich das vergißt

Jetzt würd ich manchmal gerne mit dir reden
Und fragen, was ich dich nicht mehr gefragt
Verschlagne Tage spinnen ihre Fäden
Was nicht gesagt war, war doch nur vertagt

Die Kriegsjournaille lügt mit spitzer Mine
Wer's besser weiß, verbietet sich den Mund
Ein fremder Putsch entflammt die Ukraine
Und stempelt Rußland ab zum Höllenhund
Es mangelt mehr denn je am Recht zu träumen
Die Erde taumelt auf den Abgrund zu
Mit trüben Meeren und entlaubten Bäumen
Mit Toten und Besiegten so wie du

Wie fremd wird mir mit jedem Tag das Leben
Doch lieb ich immer noch dieselben Fraun
Und will von dem selbst, was ich nicht hab, geben
Die Freunde können mir noch stets vertraun
Das letzte Mal in deinem Krankenzimmer
Gab ich dem Tod die Klinke in die Hand
Wie viele Chancen sind vertan für immer
Wie unser kleines haßgeliebtes Land

Jetzt würd ich manchmal gerne mit dir reden
Und fragen, was ich dich nicht mehr gefragt
Verschlagne Tage spinnen ihre Fäden
Was nicht gesagt war, war doch nur vertagt

Frank Viehweg © 2014

Zuletzt aktualisiert am 15.12.2014 von Frank Viehweg.

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